Politischer Alltag
Anders als im Reich, wo nach dem Ersten Weltkrieg die SPD die stärkste Partei der Arbeiterbewegung blieb, wurde in Mössingen die KPD zur vorherrschenden Partei im Milieu der "kleinen Leute" aus Arbeitern, Handwerkern und Kleinbauern. Durch eine aktive Vereinsarbeit in den verschiedenen Sport- und Kulturvereinen waren die Mössinger Linken überaus gut vernetzt und traten selbstbewusst auf. Dies zeigte sich bereits 1919 bei der Entwaffnung eines Tübinger Studentenfreikorps am Mössinger Bahnhof, das von seiner Mitwirkung an der Auflösung der Münchner Räterepublik zurückkehrte.
Im dörflichen Alltag blieben Kommunisten und Sozialdemokraten eng verbunden. Im Gemeinderat bildeten sie während der gesamten Weimarer Republik einen Block aus mindestens fünf der insgesamt 16 Abgeordneten. Abgesehen von einzelnen Grundsatzdiskussionen wie dem Fürstenbilderstreit im Jahre 1922 gestaltete sich auch die Gemeinderatsarbeit zwischen Bürgerlichen und Linken weitestgehend pragmatisch. Durch Wirtschaftkrise und Arbeitslosigkeit verschärften sich in den 1930er-Jahren jedoch die sozialen Gegensätze und das politische Klima wurde deutlich rauer. Die Einschränkung der politischen Rechte wie Versammlungsfreiheit unter der Regierung Brüning versuchten die Mössinger Linken bauernschlau zu umgehen. Der getarnte Demonstrationszug wurde allerdings auch erst durch die eigene Naivität bekannt.
Die verschiedenen politischen Veranstaltungen von Linken sowie NSDAP-Anhängern waren von wechselseitigen Störaktionen und Provokationen geprägt. Dem Hitlerschatten begegneten die Linken im Juli 1932 mit Sonnenbestrahlung. Obwohl die NSDAP ab 1932 Spitzenergebnisse mit über 40% verzeichneten, traten die Rechten kaum in Erscheinung. Die hohen Zugewinne der Nationalsozialisten dokumentieren eher ein Protestwahlverhalten.
Im Mai 1919 sind Tübinger Freikorps-Studenten mit dem Zug aus München über Mössingen nach Hause zurückgekehrt. Sie hatten an der gewaltsamen Auflösung der Münchner Räterepublik teilgenommen. In der Steinlach-Zeitung hieß es, die Studenten hätten sich „tapfer gegen die Spartakisten eingesetzt", die unter der Führung "russischer und syphilitischer Geisteskranker" gewütet hatten.
Die Studenten, deren Erfolg in Tübingen gefeiert werden sollte, kamen jedoch nicht im angemessenen Ornat am heimischen Bahnhof an. Als nämlich der Zug in Mössingen Zwischenstation machte, holten die ortsansässigen Linken die Studenten aus dem Zug und entwaffneten sie. Ein Zeitzeuge berichtete: „Die haben wir ausvisitiert und alles abgenommen, was sie gehabt haben. Und kein Hahn hat danach gekräht.“
Vor Eröffnung der Sitzung des Mössinger Gemeinderats am 3. April 1922 entspann sich unter den anwesenden Gemeinderäten eine lebthafte Debatte wegen der im Sitzungssaal seit Jahrzehnten aufgehängten Fürstenbilder. Die direkte Veranlassung zu dieser Aussprache gab der kommunistische Gemeinderat Hermann Ayen, der die Bilder abnahm und gegen die Wand stellte. Die bürgerlichen Gemeinderäte verbaten sich dieses Vorgehen, ehe nicht darüber verhandelt worden sei. Nach Eröffnung der Sitzung führte Gemeinderat Ayen aus, dass nach Abschaffung der Monarchie und Einführung der republikanischen Staatsform in einen öffentlichen Versammlungsraum keine Fürstenbilder mehr gehören und dass sich schon viele Bürger an diesem Zustand gestört hätten. Ein bürgerlicher Antrag auf Vertagung der Angelegenheit wurde überstimmt. Nach einer erregten Debatte wurde mit 6 gegen 5 Stimmen beschlossen, die Bilder aus dem Rathaussaal zu entfernen.
Im Juni 1931 tarnten die Mössinger Linken einen Demonstrationszug als Wanderung. Trotz eines damals unter der Brüningregierung bestehenden Demonstrationsverbots marschierten 50-60 Teilnehmer des Mössinger Sport- und Kulturkartell in Dreier- und Viererreihen mit den Trommlern und Pfeifern der Antifaschistischen Aktion von der Langgass-Turnhalle zum Dreifürstenstein. In Belsen machten sie zweimal im Dorf die Runde. Unterwegs wurden Lieder gesungen, unter anderem wohl auch die Internationale. Auf dem Dreifürstenstein hielt der Vorsitzende des Sport- und Kulturkartells Otto Wick eine Ansprache. In der Ausgabe der Zeitschrift "Hammer und Sichel" der Mössinger KPD wurde naiverweise über die „Demonstration“ berichtet. Daraufhin kam es zur Anzeige wegen "Vergehens gegen das Gesetz zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" gegen Otto Wick und Genossen.
Bei den Polizeiverhören wurde die Aktion verharmlost. Hermann Ayen sagte aus, dass es sich lediglich um einen Ausflug gehandelt hätte. Die Gruppe hätte sich bei ihrem Weg zum Dreifürstenstein in Belsen verlaufen und wäre deshalb zweimal durch den Ort marschiert. Von einer Kundgebung auf dem Dreifürstenstein hätte er nichts mitbekommen, weil er "wie immer seinen Schweizer Jodler" ins Tal erklingen ließ. Auf die Frage, warum in Viererreihen marschiert wurde, gaben die Teilnehmer zu Protokoll, dass sie das so gewohnt seien. Auch die Ortspolizisten, die zu dieser Sache befragt wurden, haben das Ganze für einen Ausflug gehalten und sagten aus, dass die Linken immer so marschieren.
Am 1. Mai des selben oder folgenden Jahres gab es eine ähnliche Aktion: da marschierte man im Gänsemarsch, um die Demonstration zu verschleiern.
Obwohl die NSDAP in Mössingen 1932 über 40% Wählerstimmen erlangte und es sowohl eine NSDAP-Ortsgruppe als auch eine SA-Abteilung gab, traten die Rechten im öffentlichen Leben eher selten in Erscheinung. Bei den wenigen NSDAP-Veranstaltungen zeigten die Mössinger Linken aktive Präsenz, ergriffen bei den anschließenden Diskussionen das Wort und versuchten die Arbeiterfeindlichkeit der NSDAP zu verdeutlichen. Bei Veranstaltungen, die ohne Diskussion stattfinden sollten, traten die KPD-Mitglieder trotzdem auf und verkündeten: "Wenn wir nicht reden dürfen, sorgen wir dafür, dass ihr auch nicht redet". Deshalb hatten die KPD-Mitglieder bei den Veranstaltungen der NSDAP immer Rederecht.
Als die NSDAP am Tag des 20jährigen Stiftungsfestes des Arbeiterradfahrvereins eine Veranstaltung unter dem Titel "Hitlers Schatten über Deutschland" organisierte, gelang es ihr mit dieser Terminkollision ein massives Auftreten der Linken zu verhindern. Die Mössinger KPD warb daraufhin für den darauf folgenden Tag mit einer Gegenveranstaltung unter dem Motto „Die Sonnenbestrahlung des angekündigten Hitlerschattens“.